von Kristin Geils
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08 Juli, 2022
Die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland knüpft nach § 1 Abs. 1 EStG an den Wohnsitz (§ 8 AO) oder den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) an. Wenn ein in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtiger beschließt den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufzugeben, um diesen sodann ins Ausland zu verlagern, stellt sich immer die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt als aufgegeben anzusehen ist. Wie immer kommt es entscheidend auf den Zeitpunkt an. Die Einkommensteuer ist nämlich eine Jahressteuer (§ 2 Abs. 7 EStG), sodass die Grundlagen für ihre Festsetzung jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln sind. Besteht während eines Kalenderjahres sowohl unbeschränkte als auch beschränkte Einkommensteuerpflicht, so sind die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht einzubeziehen. Der Zeitpunkt der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes (in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes) ist daher einerseits für die Frage relevant, ob und inwieweit Einkünfte im Jahr des Wegzugs noch im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zu berücksichtigen sind oder gar der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterliegen und andererseits, ob nach dem (unterjährigen) Wegzug noch Steuererklärungspflichten in Deutschland zu erfüllen sind. Zur Aufgabe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland bei Umzug ins Ausland hat zuletzt das FG Hamburg mit Urteil vom 12. Mai 2022, Az. 5 K 141/8 entschieden. Ob bestimmte Einkünfte der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, ist danach nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen. Es kommt also darauf an, ob nach dem Gesamtbild der Verhältnisse noch ein Wohnsitz oder ein gewöhnlicher Aufenthalt besteht. Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Aufgegeben wird daher der Wohnsitz erst dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Wohnsitzbegriffs beseitigt werden. Nach dem o.g. Urteil führt das Innehaben einer Wohnung nur so lange zum Bestehen eines Wohnsitzes, wie nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wahrscheinlich ist, dass sich das Benutzen der Wohnung in Zukunft fortsetzen wird. Daher reiche es für das Fortbestehen eines Wohnsitzes nicht aus, dass völlig offen ist, ob der Steuerpflichtige jemals in die Wohnung zurückkehren wird. Bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres solle jedoch i.d.R. keine Aufgabe des Wohnsitzes vorliegen. Behält ein ins Ausland versetzter Arbeitnehmer eine Wohnung im Inland bei, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die so ausgestattet ist, dass diese ihm jederzeit als Bleibe dienen kann, so ist - widerlegbar - zu vermuten, dass er einen Wohnsitz im Inland hat. Die Vermutung könne jedoch dadurch widerlegt werden, dass die Wohnung (unter-) vermietet wird oder dass die Familie eines ins Ausland versetzten Bediensteten kurzfristig nachzieht, der Bedienstete am neuen Tätigkeitsort einer uneingeschränkten Residenzpflicht unterliegt und deswegen seinen Wohnsitz im Inland aufgibt. Auch bei einer bereits absehbaren zukünftigen Aufgabe der Wohnung ergäbe sich aus den Umständen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung bis zu eben diesem Zeitpunkt noch beibehalten und benutzen werde. Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person befindet sich dort, wo diese sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). Vorausgesetzt werde daher stets die tatsächliche körperliche Anwesenheit, wobei der gewöhnliche Aufenthalt aber gerade keine ständige Anwesenheit voraussetzt. Daher werde der gewöhnliche Aufenthalt dann aufgegeben, sobald an anderer Stelle ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet werde oder in dem Moment, in dem der bisherige gewöhnliche Aufenthaltsort tatsächlich verlassen werde und eine Rückkehr innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nicht zu erwarten sei. Der gewöhnliche Aufenthalt wird regelmäßig mit der Auflösung der Wohnung und dem Umzug ins Ausland beendet. Die tatsächliche Ausreise und nicht die Aufgabe des Wohnsitzes ist hingegen für die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts dann entscheidend, wenn der Inlandsaufenthalt entweder kurzfristig fortgesetzt werde oder der Steuerpflichtige noch einmal in das Inland zurückkehrt, weil noch bestimmte Formalitäten zu erledigen seien. Im Übrigen zählen wohl auch noch der Tag des Umzugs ins Ausland, an dem der Wohnsitz und der gewöhnliche Aufenthalt im Inland aufgegeben werden, nach dem og. FG-Urteil zum Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht. Im Ergebnis lässt sich wie so immer im Steuerrecht keine pauschale Aussage zum Zeitpunkt der Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland bei Umzug ins Ausland treffen. Es kommt vielmehr auf das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall unter Berücksichtigung von beruflichen, familiären und gesellschaftlichen Bindungen an.